DIE REISE IN EINE ANDERE WELT

 

Wir sitzen im Flieger Richtung Nairobi. Der Flug über den Kontinent Afrika ist recht unruhig. Ich kann es noch gar nicht glauben. Schon morgen werden wir auf den Spuren des 1987 verstorbenen großen Tierfilmers Prof. Dr. Bernhard Grzimeck unterwegs sein.

Knapp fünfzig Kilometer vor unserem Ziel, um kurz vor zwanzig Uhr, zeichnen sich unter uns erste Lichter in der afrikanischen Savanne ab. Nairobi. Villenvororte von Nairobi. Auch Slums, wie wir am nächsten Tag erfahren.

Warum nur befinden wir uns immer noch in knapp achttausend Fuß Höhe? Irgendetwas stimmt hier nicht. Wir sind viel zu hoch. Ich sehe seitlich neben mir das Flughafengebäude. Das Fahrwerk scheppert, es rumpelt. Dann setzen wir auf, es rappelt und ich habe das Gefühl, unser Flugzeug hebt wieder ab, nur um dann wieder aufzusetzen, mit dem energischen Willen, die Landebahn nicht mehr verlassen zu wollen. Wir werden in unsere Gurte gepresst. Die Schwerkraft lässt unsere Köpfe fast auf die Sitze vor uns schnellen. Eine Vollbremsung, wie ich sie selbst im Auto noch nicht erlebt habe.

Noch immer befinden wir uns auf fünftausend achthundert neunundachtzig Fuß Höhe. Natürlich, Nairobi, über drei Millionen Einwohner und die Hauptstadt Kenias liegt eintausend siebenhundert fünfundneunzig Meter über dem Meeresspiegel.

Wir rollen über die Landebahn. Knapp fünfzehn Minuten später haben wir unsere finale Parkposition erreicht und wir kommen zum Stehen. Es ist kurz nach halb neun, die Sonne ist hier natürlich schon längst untergegangen.

Als ich die offene Tür unseres Flugzeuges erreiche, kommt mir eine erste Brise nicht unangenehm warmer, afrikanischer Luft entgegen. So riecht Afrika denke ich und bin fast verwundert, dass ich nicht von einem heißen Föhn gleich wieder in die Flucht unseres klimatisierten Flugzeuges getrieben werde.

Natürlich, so hoch über dem Meeresspiegel verlassen wir bei uns in den Alpen die Baumgrenze und die Temperaturen erfordern warme Jacken. Hier, im afrikanischen Winter, werden wir unsere warmen Jacken die nächsten sechzehn Tage nicht brauchen.

Wir verlassen das Flugzeug über eine an die Bordwand gestellte Treppe und besteigen einen Bus, der uns in ein, wie ich es vom Oktoberfest kenne, riesiges Zelt bringt. Das ist scheinbar der Terminal, indem wir abgefertigt werden. Die Koffer meiner Familie, bis auf meinem, sind so ziemlich die ersten auf dem Band. Meiner kommt als einer der letzten.

Bei der Einreise hat sich mittlerweile eine lange Schlange gebildet. Als wir uns am Ende einreihen wollen, werden wir von einer Beamtin angesprochen. Als sich herausstellt, dass wir Deutsche sind, nimmt sie uns an die Hand. Wir gehen an der langen Schlange wartender mit uns Reisender vorbei, umlaufen mit Warnbändern abgesperrte Bereiche und warum auch immer, keine zwei Minuten später stehen wir vor einem ausgesprochen netten Beamten, der unser Visum einsammelt und sich Fingerabdrücke von uns geben lässt. Evas Finger scheinen so interessant zu sein, dass sie dieses Prozedere zweimal durchläuft. Ich werde durchgewunken, ohne dass meine Finger gescannt werden. Hoffentlich gibt es keine Probleme bei der Ausreise denke ich.

Nach wenigen Minuten ist der erste Teil unseres Abenteuers für uns erledigt. Richtig wohl fühlen wir uns aufgrund dieser sehr gastfreundlichen Sonderbehandlung nicht.

Wir verlassen das Flughafengebäude und hinter einem abgesperrten Bereich stehen im Dunkel der afrikanischen Hauptstadt Nairobis eine lange Reihe noch dunklerer ausschauender verschiedene Namen rufender Afrikaner mit hoch in die Luft haltenden Namensschildern. Ungefähr in der Mitte dieser scheinbar nicht mehr zu enden wollenden Reihe von Guides, entdecke ich hoch über allen anderen Köpfen den Namen „Braun“ auf einem der Schilder. Wir nehmen Blickkontakt auf und einige Schritte weiter werden wir von einem Kenianer, so um die fünfundvierzig Jahre jung, erwartungsvoll und freundlich in Empfang genommen. Wir stellen uns auf englisch vor und als ich ihn frage, ob er unser Guide ist und uns die nächsten sieben Tage begleiten wird, antwortet er (auf deutsch): „Ja, leider.“ Es wird ruhig, keiner versteht so recht, was er uns damit sagen will.

Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens, unser Guide spricht deutsch, was ich eigentlich sogar schade finde. Gerne hätte ich an meinem englisch gearbeitet. Oder zweitens, er macht genau so gerne Scherze wie ich, die noch keiner von uns versteht.

Ein Lächeln zieht sich über Chombah´s Gesicht.  Alle lachen. Schnell stellt sich heraus, beides ist richtig. Chombah hat uns sofort adoptiert.

Es wird eine gute Woche werden. Es ist dunkel. Es ist warm. Es ist angenehm. Es riecht nach Afrika.

Im ersten Moment erscheint uns Nairobi wie jede andere Großstadt. Nur Weiße gibt es hier nicht, außer uns.

Überall stehen Elefanten, Löwen, Antilopen, Giraffen und Gnus. Allerdings ohne ein Lebenszeichen. Sie scheinen aus Plastik und Metall zu sein. Autos und Motorräder fahren kreuz und quer, hier ist Linksverkehr angesagt. Nach wenigen Metern beginnt unsere Safari. Auf einer Straßeninsel im Dunkel der Nacht stehen die ersten Zebras. Lebendig. Nicht aus Plastik oder Metall. Wir sind begeistert.

Nach einer gut zwanzigminütigen Autofahrt erreichen wir unser Hotelgelände. Ein Schlagbaum öffnet sich. Wir fahren ein und hinter uns schließt sich der Schlagbaum wieder. Bewaffnetes Personal steht an unserem Auto. Direkt vor uns ein zweiter Schlagbaum. Auch dieser öffnet sich und nach gut zweihundert Metern stehen wir vor dem Eingang unseres Hotels. Bevor wir das Hotel betreten dürfen, durchlaufen unsere Taschen und Koffer einen Sicherheitscheck, wie wir ihn von deutschen Flughäfen (nicht dem Nairobischen) kennen, und wir einem Ganzkörperscanner. Und dann stehen wir im Foyer unseres Hotels.

Liebes Deutschland, nun zugehört. Menschen sind auch da, um andere Menschen glücklich zu machen. Und ganz besonders dann, wenn diese verreisen.  Oder, wenn diese essen gehen. Wir freuen uns auch im Urlaub von unseren Dienstleistern so behandelt zu werden, als seien wir willkommen. Ganz anders, als so häufig bei uns in Deutschland. Hier in unserem Hotel versteht man, was Service heißt. Man weiß, dass wir von weit her angereist sind. Man weiß, dass es anstrengend war. Die vielen Stunden im Flieger und im Auto. Und man weiß, dass es angenehm ist beim ersten Empfang ein warmes Tuch gereicht zu bekommen, um sich die Strapazen der letzten vielen Stunden einfach aus dem Gesicht zu wischen. Und man weiß auch, wie angenehm es ist, nach einer solchen Anreise ein frisches Getränk gereicht zu bekommen. Und das nicht, weil man dafür Geld bekommen möchte. Was für uns sicherlich ein wenig befremdlich ist, dass gleich so viele Menschen das Bedürfnis haben, uns willkommen zu heißen und die Taschen und Koffer abgenommen zu bekommen. Eigentlich dürfen wir gar nichts selbst machen. Es ist komisch. Es ist ungewohnt. Aber, damit habe ich bereits nach ein paar Tagen gelernt umgehen zu können und es ist besser, als - wie es bei uns oftmals ist - niemanden zu finden, der einem hilft oder gar missachtet zu werden.

Überall gibt es Sicherheitspersonal vom Hotel. Auch auf jeder einzelnen Etage des Hotels. Viele Menschen. Ohne Waffen, aber mit Hüten und einheitlicher Kleidung. Wir genießen ein sehr liebenswertes und leckeres Abendessen mit einer südafrikanischen Flasche Sauvignon und bei selbst für unsere Jungs sehr angenehmer Live-Musik.