TAG 3

Unsere Massai Mara Safari hinter uns brechen wir auf in Richtung Nairobi. Und da sitzt er wieder, der Massai Krieger am Eingang unserer Hotelanlage. Beschützt den Schlagbaum wie seine Rinderherde gegen fremde Eindringlinge. Tagein, tagaus. Wann immer wir in den letzten Tagen diesen Weg genommen haben. Immer saß der gleiche Massai in dem kleinen grünfarbenen Holzverschlag am Schlagbaum. Ich frage mich, ob diesem tapferen Massai Krieger irgendjemand Beachtung schenkt. Ich tue das. Ein letztes Mal öffnet er uns die Schranke. Ich gebe ihm fünf Euro Trinkgeld.

Gut fühle ich mich dabei nicht.

Und da ist sie wieder. Unsere Hofeinfahrt.

Sechsundachtzig Kilometer lang. Chombah meistert die ersten tiefen Löcher in gewohnter Manier und mit beneidenswerter Lässigkeit.

Gnus, Zebras und Antilopen queren unseren Weg. Als wolle man sich verabschieden.

Vor uns taucht einmal mehr eine Giraffenfamilie auf. Chombah lässt unser Auto ausrollen. Tiere haben hier Vorfahrt. Bei knapp zwanzig Stundenkilometern aktuellem Tempo kann man nicht wirklich von Ausrollen reden. Wir pendeln in der gerade eingefahrenen Senke vor und zurück, bis unser Wagen stehen bleibt. Die Giraffenfamilie quert die Schotterpiste. Ein letztes Mal bleibt der Giraffenbulle stehen, dreht sich um und blickt uns tief in die Augen. Zu gerne hätte ich gewusst, was er uns sagen wollte. Leider kann ich ihn nicht verstehen.

Weiter geht es im Schritttempo durch mannshohe Schlaglöcher.

In der Ferne entdeckt Chombah an völlig ungewohnter Stelle durch eine Kolonne von vier schnell fahrenden Safariautos aufgewirbelten Staub.

Chombah fährt diese Strecke seit achtzehn Jahren. Diesen Weg kennt er noch nicht. Schon immer wollte er nach einer anderen Hofeinfahrt suchen. An Mut hat es sicherlich nie gefehlt. Als hätte er scheinbar auf uns gewartet, verlassen wir heute gut einen Kilometer weiter die uns vom Hinweg gewohnte Piste in Richtung Osten, den in der Ferne weit vor uns staubaufwirbelnden Jeeps folgend.

Ich sehe Chombah´s strahlende Augen. Irgendwie habe ich das Gefühl, er weiß was er tut. Der Weg scheint tatsächlich in einem besseren Zustand zu sein. Es ist sehr einsam hier. Der Weg wird schmaler. Die Sträucher und Äste der Bäume links und rechts am Wegesrand polieren unseren Lack. Die aufgewirbelten Staubwolken der verfolgenden Autos können wir nun nicht mehr sehen. Von vorne höre ich es so etwas nuscheln wie „ich hätte hier mehr Spuren von den vor uns fahrenden Autos erwartet“. Ein wenig mulmig ist es mir schon, aber irgendwie habe ich vollstes Vertrauen in Chombah. Immer wieder kreuzen Zebras und Gnus unseren Weg.

Massai gibt es hier kaum noch. Vorbeifahrende Autos scheinen hier selten zu sein. Ich habe das Gefühl, jeden Moment stehen wir inmitten einer Elefantenfamilie. Elefantendünger, wie Chombah die von Elefanten ausgeschiedenen Fußballgroßen Kugeln nennt, sind hier allgegenwärtig.

Und da sind sie wieder. Aus dem Wald am Berghang steigen Staubwolken in die Höhe. Das müssen die anderen Jeeps sein. Ich kann nicht leugnen, dass mir wieder wohler wird und ich glaube auch Chombah Erleichterung ansehen zu können. Eine knappe Viertelstunde später haben wir das Wettrennen (was gar keins ist) gewonnen. Die sehr jungen Fahrer haben mit ihrer Unerfahrenheit ihre Wagen geschickt durch mannshohe Schlaglöcher zu lenken dafür gesorgt, dass sich einige der in erster Linie weiblichen Fahrgäste um ihr Frühstück erleichtern müssen, so Chombah.

Am Horizont entdecke ich für diese Pistenverhältnisse viel zu schnell fahrende Autos. Gleich scheinen wir es geschafft zu haben. Die erste asphaltierte Straße seit drei Tagen. Chombah hat für die letzten sechsundachtzig Kilometer einen neuen Rekord aufgestellt. Gut drei Stunden. In Zukunft wird er den neu entdeckten Weg immer fahren, aber nur, wenn nicht gerade Regenzeit ist.

Kurz vor Narok wird unsere Autofahrt durch eine vorher von einem uns entgegenkommenden LKW mit Handzeichen bereits angekündigte Straßensperre vorerst beendet. Hier legt man einfach Nagelbretter auf die Straße, um Autofahrer am Weiterfahren zu hindern. Chombah ärgert sich über wohl insbesondere seit den Wahlen häufig stattfindende Straßensperren, in denen es scheinbar nur darum geht Geld einzutreiben und bittet mich das mit meinem Handy zu fotografieren. Eva bekommt Angst und bittet mich das Handy zur Seite zu legen.

Düster aussehende bewaffnete in Militär gekleidete auf mich wie Soldaten wirkende Männer entführen Chombah in eine provisorische, ein paar Meter von der Straße abseits aufgestellte, kleine Blechhütte. Einer der Soldaten befragt uns, wo wir herkommen und wie lange wir dort waren, während Chombah in der Blechhütte verhört wird. Dann wendet er sich ab und signalisiert seinen Kollegen mit einem nach oben gerichteten Daumen scheinbar, dass wir dasselbe erzählen, wie Chombah in der Hütte. Nach weiteren fünf Minuten haben wir Chombah wieder und atmen erleichtert auf.

In Narok herrscht reges Treiben. Hier finden heute die Vereidigungen der neu gewählten Gouverneure der Umgebung statt. Ein riesiges Ereignis. Alle haben sich hübsch gemacht. Die Frauen tragen lange Haartoupets auf ihren in der Regel kahl rasierten Köpfen. Warum tun sie das nur?

Wir lassen Narok hinter uns. Wenn es nicht gerade bergauf geht, beschleunigt unser Wagen auch schon mal bis siebzig Stundenkilometer auf der mittlerweile asphaltierten Straße. Immer wieder drohen wir ganze Pavianfamilien zu überfahren, die sich hier mit dem aus LKW´s gefallenen Getreide ihr Mittagessen holen. 

Auch das gehört zu Chombah´s Mission. Mitten in der Savanne lässt er seinen Wagen ausrollen. Soweit wir gucken können befinden sich Whizzling-Akazienbäume. Die Blätter dieser extrem stachligen Bäume sind die Lieblingsspeise der Giraffen. Und auch Ameisen spielen hier eine bedeutende Rolle.

Hier lebt alles in einer Symbiose. Außer den Blättern hängen an den Ästen hunderte kleiner Kügelchen, ungefähr so groß wie eine Walnuss. In diesen Kügelchen erlauben die Akazien-Bäume den Ameisen zu leben. Dafür müssen diese ihren Dienst leisten. Chombah schlägt sanft an verschiedene dieser kleinen Kügelchen. Im wenigen Sekunden ist alles voller sich auf die Suche nach Beute machender Ameisen.

Kommen nun Giraffen und fangen an die Akazienblätter zu fressen, berühren sie mit ihren Zungen unweigerlich diese kleinen Kügelchen. Und damit der Akazienbaum nicht komplett aufgefressen wird, fangen die Ameisen an den Baum zu verteidigen, indem sie die Giraffen auf ihre weichen empfindlichen Nasen stechen. Und schon hat die Giraffe keine Lust mehr zu fressen und sucht sich einen nächsten Baum. Das nenne ich einmal Nachhaltigkeit.

Kurz vor Nairobi erreichen wir die Hauptverkehrsader, die von Mombasa aus in Nordwestrichtung über Nairobi durch Kenia bis nach Uganda führt. Wir teilen uns die Bundesstraße mit hunderten von LKW und quälen uns immer wieder die Berge hinauf. Das hier ist die Transitroute für alles was Nützliches zu transportieren hat. Auch die Massai treiben ihre Rinderherden hier am Highway entlang. Und manchmal darauf. Von Eseln gezogene einachsige Holzgefährte mit auf Säcken sitzender Massai begegnen uns hier. Genauso wie kleine Mopeds, mit denen man uns zeigen will, dass diese auch vier Personen transportieren können.

Nahezu das komplette nördliche Kenia befindet sich auf über eintausend achthundert Meter über dem Meeresspiegel. Bei uns gäbe es nur noch schroffe Felswände und höhere Bergspitzen. Wir befänden uns im hochalpinen Klima. Bäume oder gar Straßen sind nicht mehr vorhanden.

Hier hingegen haben wir das Gefühl, wir befinden uns kurz über dem Meeresspiegel. Unsere Klimaanlage im Auto (geöffnete Fenster) funktioniert unerwartet gut. Die Temperaturen sind auch außerhalb vom Auto angenehm zu ertragen. Ich muss im T-Shirt nur selten wirklich schwitzen.

Um Vierzehnuhr dreißig Uhr erreichen wir die dritte Station unseres Abenteuers, den Lake Navasha Club, gelegen am gleichnamigen Lake Navasha.

In den achtziger Jahren hat man für Dreharbeiten hunderte von Wildtieren für Dreharbeiten aus der Massai Mara hierher eingeflogen erfahren wir. Der See mit einer Fläche von einhundert fünf und dreißig Quadratkilometern und einer maximalen Tiefe von acht Metern liegt eintausend achthundert achtzig Meter über dem Meeresspiegel. Die umliegende Landschaft ist ein Eldorado für Mensch und Tier. Die Raubtiere hat man nach den Dreharbeiten wieder ausgeflogen. In unserer Hotelanlage wimmelt es jetzt von Wasserbüffeln, Zebras und Flusspferden. In einem Baum sitzen zwei Fischadler. Besonders Flusspferde fühlen sich in dem Süßwassersee sehr wohl. Bekannt ist der See auch für seine große Vogelvielfalt.

Die Hippos wirken auf mich wie die gemütlichsten und friedlichsten Tiere der Welt. Noah lehrt mich besseres Wissen. Hippos gehen bisweilen auch schon einmal grundlos auf Menschen los. Das möchte ich lieber nicht. Bis zu drei Tonnen ist dann doch zu viel für mich.

Am Empfang unserer Unterkunft weist man uns einen Bungalow zu. Wenn wir zum Abendessen kommen wollen, sollen wir vorher an der Rezeption anrufen, man hole uns ab, alleine sei es zu gefährlich. Ich muss schmunzeln. Die einhundert Meter schaffen wir doch alleine.

Nachdem wir eingecheckt haben, fährt Chombah uns zu einem nahegelegenen Bootsanleger. Wir wollen die Seelandschaft erkunden und haben eine geführte Bootstour gebucht. Im fünfhundert Meter Streifen vom Ufer entfernt, fahren wir mit unserem Boot um die Spitzen abgestorbener Bäume herum.

Der Wasserpegel des riesigen Sees ist in den Jahren zweitausend elf bis zweitausend sechzehn um mehr als zwei Meter gestiegen. Schmelzwasser vom über zweihundertfünfzig Kilometer entfernten Kilimandscharo, so unser Bootsführer.

Überall im Wasser liegen Hippos. Eine riesige Vogelvielfalt bestimmt unseren Anblick.

Unser Bootsführer gibt einen schrillen Pfeifton von sich und wirft einen Fisch in die Luft. Seeadler kommen auf uns zugeflogen. Leichte Kost für wilde Tiere.

Hier befinden sich in unmittelbarer Nähe mehr als fünf Fischadler. Kaum jemand schenkt ihnen Beachtung. Wir schon.

Auf einer Insel eine verlassene Lodge. Hier haben Affen ein neues Zuause gefunden.

Wieder in unserer Unterkunft angekommen, wird es plötzlich dunkel. Stromausfall. Ein kurzes Flackern unseres Lichtes. Und wieder ist es dunkel. Kerzen stehen scheinbar vorsorglich auf unseren Tischen. Stromausfall scheint es öfter zu geben in Kenia. Nach gut fünfzehn Minuten ist das Problem behoben.

Eva ruft die Rezeption an. Keine Minute später werden wir von einem bewaffneten Angestellten an unserer Tür in Empfang genommen. Und kaum zu glauben, knapp zehn Meter von uns entfernt taucht mitten in unserer Hotelanlage im Dunkel des Abends ein tonnenschweres Hippo auf. Wir gelangen sicher in das Hotelrestaurant.